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„Wir haben nur diesen Planeten“

„Wir haben nur diesen Planeten“

Über die Zeitgeist-Bewegung und nachhaltige Systemalternativen.

Am 7. April 2018 fand der Zeitgeist-Tag (Z-Day), der von der international in über 70 Ländern bestehenden Zeitgeist-Bewegung veranstaltet wird, in Frankfurt statt. Entsprechend dieser Multikulturalität waren an diesem Tag einige Redner und Gäste unterschiedlicher Nationen vor Ort, hielten Vorträge, vernetzten sich und diskutierten.

Selten waren die Referenten professionell ausgebildete Redner; dies verlieh dem Treffen aber einen umso authentischeren Charakter. Generell musste ich feststellen, dass ich selten bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung – es waren über 100 Menschen anwesend – eine so respektvolle, freundliche und aufrichtige Atmosphäre erleben durfte. Selbst bei eher ermüdenden Vorträgen blieb es im Saal ausgesprochen ruhig, das Publikum zerstreute sich nicht und hörte bis zum Ende zu; Applaus gab es auch.

Es wurde auch niemand abgewürgt. Obwohl sich der Zeitplan schon früh zu strecken begann, erhielt ein jeder genug Zeit, um auszureden. Dies machte sich auch in der Fragerunde am Abend bemerkbar, bei welcher die Fragesteller ihre Anliegen konzentriert und prägnant formulierten; die Antworten fielen durchweg wohlwollend und informativ aus.

Zwei weitere Beispiele fielen mir auf, anhand derer sich die Stimmung des Tages gut beschreiben lässt: Als einem älteren Herrn ein Stift herunterfiel und er sich nach ihm zu bücken begann, begann sein Stuhl zu kippeln; kurz, bevor er das Gleichgewicht verlor, griff der Hintermann ein und hielt den Stuhl fest. Gegen Ende der Veranstaltung wurde irgendwo ein Geldbeutel gefunden, dessen Besitzerin anschließend auf der Bühne ausgerufen wurde – erfolgreich.

Neben den interessanten und gehaltvollen Vorträgen war es vor allem jene spürbare Atmosphäre humanistischer Besonnenheit, die mich in ihrer Breite an diesem Tag ziemlich beeindruckt hat. Und der Z-Day 2018 war dabei bei weitem keine Konsensfabrik, sondern vielmehr ein Ort zum offenen und respektvollen Diskurs.

Dass sich der deutsche Koordinator der Zeitgeist-Bewegung anschließend ohne viel Aufhebens und ganz spontan zum Interview bereiterklärte, rundete den Tag für mich ab. In Ruhe und gänzlich unkompliziert unterhielt ich mich also mit Franky Müller.

Aaron: Hi Franky, beantworte mir doch als erste Frage: Wer bist Du und wie bist Du auf das Zeitgeist Movement aufmerksa geworden?

Franky: Schön, dass du fragst, Aaron, danke für das Interview. Mein Name ist Franky Müller, ich bin gelernter Industriekaufmann und Projektmanager. Es war im Juli 2009, als ich auf die ersten beiden Filme der heutigen „Zeitgeist“-Filmtriologie gestoßen bin, die von dem Künstler Peter Joseph produziert wurden.

Als Reaktion auf den zweiten Film dieser non-profit Independent-Produktionsreihe entstand die globale und dezentrale Zeitgeist-Bewegung. So kam es, dass ich durch Gespräche mit Freunden auf eben diese Filme, die im Internet frei verfügbar sind, und somit auch auf das Zeitgeist Movement aufmerksam wurde.

Kann man das genau datieren? Seit wann kann man vom Zeitgeist Movement sprechen?

Seit November 2008. Da kam der Film „Zeitgeist: Addendum“ raus.

Das Zeitgeist Movement feiert heute sein zehnjähriges Jubiläum. Hast du den Eindruck, dass die kritische Masse beständig größer wird?

Kurzgefasst, wächst es langsam, doch das ist prozessbedingt. Wenn ich mir mein Leben als Aktivist, zu dem mich die Umstände haben werden lassen, anschaue und sehe, wie bestimmte Themen, die einst als „Verschwörungstheorien“ verschrien wurden, nun immer mehr im öffentlichen Diskurs stehen, ist eine Entwicklung festzustellen. Immer mehr Menschen erkennen, dass Politik lediglich ein Geschäft ist, durchblicken geostrategische Entwicklungen und werden sich darüber bewusst, dass unser aktuelles System nicht nachhaltig ist.

Sie fragen nach dem Sinn, beständig Arbeitsplätze schaffen zu wollen anstelle von Wohlstand und Zufriedenheit. Sie erkennen, dass es eigentlich krank ist, wenn es zwangsläufig Probleme geben muss, bloß damit man an deren Lösung Profite generieren kann. Sobald Knappheit und Ineffizienz die Treiber des Profits darstellen, kann dies weder gesund für die Menschen noch per Definition als Wirtschaft bezeichnet werden.

Führen wir die Metapher einer Krankheit weiter fort, können wir aktuell sogar vom "Krebsstadium des Kapitalismus" sprechen, einem System, das mittlerweile seine eigene Basis, also uns selbst und die Erde, zerstört, da die zentralen Grundsätze des Marktes wahrlich unnachhaltig sind. Immer mehr Menschen stellen diese Grundsätze infrage, und ehemals exotische Themen werden aktuell populärer; sie treffen quasi den Zeitgeist in der Hoffnung, dass dieser sich wandelt.

Es war heute des Öfteren vom aktuellen „System“ die Rede, welches als überholt angesehen wird und dessen Überwindung erforderlich scheint. Ist hier lediglich die kapitalistische Wirtschaftsform gemeint oder erstreckt sich der Systemgedanke des TZM auch auf andere, beispielsweise gesellschaftliche, Bereiche?

Vielmehr Zweiteres. Wir sollten die Menschheit in ihrem evolutionären Kontext reflektieren und den sozioökonomischen Rahmen in Betracht ziehen, also die Wirtschaft inklusive der Gesellschaft mit ihren damit einhergehenden Werten, die das Ganze stützen. Das, was wir heute geldbasierte Wirtschaft, Markwirtschaft oder eben Kapitalismus nennen, hat sich über einen langen Zeitraum hin entwickelt, wobei die damit einhergehenden Konzepte wie Wettbewerb auf allen Ebenen, Besitzansprüche auf die Natur oder die Einführung von Geld im Wesentlichen von der Natur losgelöste Konzepte darstellen.

Insofern beinhaltet Markt-Kapitalismus, unabhängig davon, wie sehr er reguliert wird oder nicht, massive strukturelle Mängel, welche permanenten ökologischen Missbrauch sowie Destabilisierung, Verachtung der Menschlichkeit und sozial zersetzende Ungleichheit aufrechterhalten. Die Natur hingegen basiert auf Symbiose und stetigem Wandel. Zugleich ist alles miteinander verbunden und ein einheitliches System.

Solange wir also nicht verstehen, dass wir symbiotisch mit der Natur verbunden sind, und dass die Natur ein emergenter Prozess ist, in welchem man sich konstant verändern muss, werden wir nicht erkennen, dass Dogmatismus in allen Bereichen des Wissens innewohnend zerstörerisch ist. Sobald wir dies verstehen, beginnen wir eine andere Welt zu sehen, in der Ego und Vorurteile verkümmern, weil es so etwas wie statisches Wissen oder Information nicht gibt.

Die Zukunft liegt also nicht mehr darin, in Systemen wie Kommunismus, Faschismus, Kapitalismus, Sozialismus zu denken, sondern dass wir einen Realismus, eine Art „Lebenswert-Analyse“ und eine auf Naturgesetzen und Ressourcen basierende Wirtschaft etablieren. Beim Zeitgeist Movement geht es folglich um nachhaltiges Wirtschaften sowie einen Wandel unserer Werte, um dies zu erreichen.

Als „Missionsziel“ (engl. Mission Statement) wird auf der Online-Seite der TZM als zentrales Leitmotiv der Bewegung die Weltsicht angegeben, nach der die Menschheit als eine „Familie“ angesehen wird, die es zu einen gilt. Wie geht das Zeitgeist Movement mit Rassismus um?

Aus meiner Perspektive ist Rassismus ein Konzept, aufgrund dessen wir Menschen uns nicht als Einheit verstehen und zugleich angefangen haben, künstliche geographische Linien auf diesem Planeten zu ziehen oder diese anzuerkennen. Nationalstaatliches Denken führt oft zur Legitimation, sich wie ein Rassist zu verhalten; sobald man in einem Land aufwächst, mit der landeseigenen Kultur indoktriniert wird und die Selbstidentifikation hiermit soweit ansteigt, dass man meint, man sei besser als die Menschen auf der „anderen Seite“.

Also ähnlich wie zwei Topfpflanzen, die sich anschauen, wobei die eine zur anderen meint: „Ich bin so froh, dass ich nicht in deinem Topf geboren worden bin.“ Der Gedankengang des Zeitgeist Movement führt zum Verständnis, dass Rassismus, ähnlich wie Gier, Vorurteile und Fanatismus, durch Wertevorstellungen und Verhalten geprägt wird. Er ist also nicht angeboren, sondern erlernt.

Rassismus reiht sich ein in solch trennende Konzepte wie Nationen, Regierungen, politische Parteien, Religionen, Glaubensbekenntnisse oder soziale Klassen, die eigentlich falsche, veraltete Begriffe sind und als funktionslos erscheinen, da sie weit davon entfernt sind, positive Faktoren für echtes gemeinschaftliches menschliches Wachstum und Potenzial zu sein.

Solche Begriffe basieren auf Teilung von Macht und sozialer Schichtung und nicht auf Einheit und Gleichheit, was die Ziele des Zeitgeist Movement sind. Und somit betrachtet jene Philosophie die Welt als ein einziges System und die menschliche Spezies als zusammengehörige Einheit, die sich diesen gemeinsamen Lebensraum teilt.

Wie würde das Zeitgeist Movement reagieren, wenn es beispielsweise auf einer Veranstaltung wie dem Z-Day mit Rassismus konfrontiert werden würde?

Rassismus innerhalb des TZM ist selbstentlarvend und würde gar nicht funktionieren. Im Übrigen ist das Zeitgeist Movement keine Organisation in jenem Sinne, dass es Mitglieder gibt, also dass es ein Innen und ein Außen gibt. Sympathisanten des Zeitgeist Movement folgen einem Gedankengang, ähnlich dem, sich gesund ernähren zu wollen. Es geht um eine Einstellung, einen Gedankengang, um eine Weltsicht, und diese Weltsicht basiert auf einem holistischen Ansatz.

Betrachtet man die Welt einmal objektiver, erkennt man im Wesentlichen und salopp gesagt: Man lebt auf so einem blauen Ball, der sich im Universum dreht, wobei sowohl der Ball als auch wir den gleichen natürlichen Gesetzen ausgesetzt sind, die wir respektieren sollten. Und hat man einmal diese Perspektive eingenommen, fällt es einem schwer, überhaupt in solch trivialen wie rassistischen Tendenzen zu denken, also Menschen in Schubladen pressen zu wollen.

Rassismus ist Ignoranz gegenüber anderen Kulturen und ich persönlich kann Bemerkungen von Rassisten oder Leuten, die sich für das Hochhalten einer bestimmten Nation aussprechen, einfach nicht mehr ernstnehmen. Das ist, als würde jemand nur eine Seite eines Buches lesen und dann ein Urteil über das ganze Buch abgeben wollen. Die Weltsicht von jemanden, der nur in seinem eigenen Land aufgewachsen ist und sein Land dann für das Beste hält, lässt sich schwer bewundern.

Rassismus ist eine Art Bildungsdefizit, und zum Glück ist das Zeitgeist Movement eben eine Bildungsbewegung. Es steht dabei jedem frei, sich selbst zu verbessern. Relevante Bildung bleibt ein Schlüssel hierzu, und gepaart mit gewaltfreier Kommunikation hierüber steht dies im Wesentlichen für den Umgang mit Rassismus im Zeitgeist Movement.

Heute war mehrmals zu hören, dass wir uns in einer technologischen Transformation befänden, welche immer mehr Berufe unnötig macht, aber den Lebensstandard aller heben könnte. Wir müssten weg von der Vorstellung, jeder müsse arbeiten; ein bedingungsloses Grundeinkommen war Gegenstand mancher Vorträge. Liegt hierin die Utopie einer technologisch verwalteten Welt, die sozusagen von selbst läuft, und in welcher persönliche Entfaltung dank finanzieller Grundsicherung für alle Menschen möglich wird?

Im Endeffekt kann man von der Erkenntnis sprechen, dass unsere Gesellschaft mittlerweile mithilfe von Technologie in der Lage ist, für jeden Menschen zu sorgen. Gleichzeitig lassen sich wirtschaftliche Prozesse technologisch regeln. Man hat heute bspw. das Internet oder die Blockchain, und es gibt weitere dezentralisierte Verwaltungsmodelle; und das Zeitgeist Movement ist seit Anbeginn dezentral.

Die Kraft liegt also in einem bestimmten Netzwerk-Effekt, wobei Technologie eben die Grundlage bildet. Es gibt folglich einen Design-Ansatz wirtschaftlicher Verwaltung, sodass wir unserem Verbrauch die entsprechenden natürlichen Regenerationsraten gegenüberstellen und dies in Einklang bringen können mit dem, was uns die Erde an Ressourcen zur Verfügung stellt.

Zugleich sollte die Deckung von (Grund-)Bedürfnissen Vorrang gegenüber (zumeist künstlichen) Wünschen haben. Eine wissenschaftliche Analyse von Ressourcen einhergehend mit der Evaluierung ihres Nutzens im Hinblick auf deren Auswirkung auf Mensch und Natur kann statistisch erfasst werden und einen festen Bestandteil von Nachhaltigkeitsprotokollen bilden.

Die Gleichung ist also einfach: Wir können nicht mehr konsumieren als das, was uns die Erde bereitstellt, und wir sollten die Tragfähigkeit des Planeten beachten und keine Aktionen starten, die Mensch und Natur schaden.

Im Gegensatz zum feststehenden Konzept einer Utopie respektiert das Zeitgeist Movement also unsere wissenschaftliche und technologische Realität und strebt den Übergang in eine geldfreie Welt an, gänzlich ohne die Notwendigkeit des Einsatzes von Tausch oder Handel. Wenn man es einmal genau betrachtet, haben wir nämlich keinen Mangel an Ressourcen, jedoch sorgt unser Vorgehen der Rationierung von Ressourcen durch finanzielle Kontrolle für eine Knappheit und zugleich Verschwendung von Ressourcen.

Diese aktuelle Verfahrensweise ist nicht länger relevant, weil sie kontraproduktiv für unser Überleben ist. Viele Menschen denken, sie benötigen eine Arbeit, um damit Geld zu verdienen und sich hiervon Bedürfnisse zu erfüllen. Denkt man jedoch genau darüber nach, braucht man nicht die Arbeit oder das Geld, sondern Zugang zu den Notwendigkeiten des Lebens.

Reformen wie ein universelles Grundeinkommen sind ein erster Schritt, um dies zu erreichen, werden vom Zeitgeist Movement jedoch vielmehr als Zwischenschritt angesehen hin zu einer Welt, in der jeder Mensch freien Zugang zu den Lebensgrundlagen - Wasser, Nahrung, Obdach, Bildung – erhält, ohne es sich erst „verdienen“ zu müssen. Ich meine, wie lange noch wollen wir uns unterjubeln lassen, dass wir nutzlosen Jobs nachgehen sollen, wenn doch schon längst mit selbstfahrenden Autos, 3D-Druckern und Automation durch Roboter zunehmend Arbeitsplätze überflüssig gemacht werden?

„Technology is here to stay“. Das sagt Arjam Jameh, einer der Redner des heutigen Tages. Viele Aspekte unseres technologischen Lebens basieren jedoch auf endlichen Ressourcen, beispielsweise die Automobilindustrie, welche eine mächtige Lobby hinter sich weiß. Woher kommt die Überzeugung der TZM, dass sich die Technologie trotz Ressourcenknappheit beständig weiterentwickelt – und weiterentwickeln darf?

Gute Frage. Wie gesagt, Ressourcen sind im Prinzip oftmals nur knapp, weil wir diese Art vom Wirtschaftssystem haben. Wir leben auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen und wir haben ein System geschaffen, das auf unendliches Wachstum setzt. Das ist die absolute Form von Unnachhaltigkeit. Wenn wir auf einer einsamen Insel stranden würden, würden wir ja auch nicht alle Ressourcen, die wir haben, so schnell wie möglich aufbrauchen wollen. Das tun wir aber heutzutage.

Wir stehlen von der Zukunft, verkaufen es in der Gegenwart und nennen sowas dann Bruttoinlandsprodukt.

Technologie hingegen ist etwas, was der menschlichen Kraft der Innovation entspringt. Der Mensch ist wissbegierig und sein Innovationstrieb schwer aufzuhalten. Nun lassen sich innovative Kraft und Technologie in zwei Varianten anwenden: entweder zum Positiven oder zum Negativen; ich kann jemandem mit einem Hammer den Schädel einhauen oder einen Nagel in die Wand klopfen.

Wie fast alles unterliegen innerhalb unseres aktuellen Systems auch die Wissenschaft und Technologie dem Streben nach Profit, und so werden auch diese Felder oftmals lediglich zur Maximierung von Profiten oder dem Machterhalt eingesetzt. Im Endeffekt steht also die Anwendung von Technologie als zentrale Frage im Raum, nicht die Technologie als solche. Das Zeitgeist Movement steht hierbei für die Anwendung der wissenschaftlichen Methode auf gesellschaftliche Belange.

Aber wie kann sichergestellt werden, dass diese technische Anwendung nach humanistischen Vorstellungen vonstattengeht und nicht nach denen des berüchtigten einen Prozents?

Indem man das Incentive Model (Anreiz-Modell, Anm. d. Red.) ändert. Wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der engstirniges Selbstinteresse belohnt wird, wo es darum geht, dass das Individuum Profit anhäufen muss, um zu überleben, dann werden wir auch eine Wirtschaft erleben, in der sich eine Elite, ein Establishment bildet, also die Gewinner aus diesem Spiel. Bei der Einführung von Geld in jegliche Gesellschaften treten stets Nebeneffekte wie Korruption oder Elitismus auf bzw. werden gefördert.

Elitismus ist ein Symptom aus der Akkumulation von Geld sowie aus der Tatsache, dass es leichter ist, mehr Geld zu machen, wenn du schon Geld besitzt. Wir leben also in einem System, in dem es zwangsläufig immer eine Elite geben muss. Und das Schlimme ist vielmehr, dass wir dies als „Normalität“ akzeptieren und nicht (mehr) hinterfragen. Es ist logisch, dass die sogenannte Elite auch einen gewissen Selbsterhaltungstrieb hat – und das, woraus sie Profite zieht, natürlich schwerlich ändern möchte.

Herrschaft bedingt Unterwürfigkeit, und nun stellt sich die Frage, ob mehr als ein Prozent der Gesellschaft es schafft, miteinander zu arbeiten, die Situation zu hinterfragen, die Angst aus dem Ganzen zu nehmen und nach Veränderung zu streben. Angst ist bei dieser Mission kein guter Ratgeber.

Voraussetzung für eine verantwortungsbewusste technologische Einsetzung ist letztendlich also eine soziale, eine gesellschaftliche Revolution im Denken?

Exakt. Die Werte müssen sich vorher wandeln. Wenn sich das Incentive Model ändert und man beginnt, Interesse an der Gesellschaft und an der Umwelt zu haben, anstatt auf Kosten der Gesellschaft und der Umwelt persönliche Profite ziehen zu wollen; wenn sich dieses Wertesystem wandelt und die Gesellschaft dazu übergeht, Ausgeglichenheit, Wohlstand und Zusammenarbeit zu belohnen, könnte unsere Spezies eine Chance haben. Wenn nicht, sind wir „im Arsch“, so wie jetzt, da wir im Zuge unserer Unreife mit unseren eigenen technologischen Fähigkeiten nicht umgehen können.

Das „Resource Based Economic Model“, welches das Zeitgeist Movement auf seinem Internetauftritt als Ziel angibt, wird als gegensätzlich zu einem politischen oder auf Geldwährungen basierendem Modell bezeichnet. Ist die TZM eine antipolitische Bewegung?

Wir müssen verstehen, dass Politik im Endeffekt die Regelung von gesellschaftlichen Belangen ist. Nun stellt sich die Frage, inwiefern man den Begriff von Politik ausweiten möchte. Abseits der ursprünglichen Definition von Politik möchte das Zeitgeist Movement weder einen neuen Staat errichten, noch möchte es die Gesellschaft regeln, lenken oder steuern.

Insofern kann man sagen, dass das Zeitgeist Movement in gewisser Form apolitisch ist, ebenso wie wir nicht religiös sind. Eine neue Art zu denken kann nicht auf den alten Mechanismen basieren. Wir können nicht erwarten, dass wir Fortschritt erreichen, wenn wir stets dieselben Dinge tun, die uns in das bestehende Dilemma gebracht haben.

Das würde bedeuten: Wir wählen den nächsten Politiker oder geben uns dem nächsten religiösen Anführer hin. Diese ganzen Konzepte haben uns nicht weitergebracht. Wie eine Gesellschaft funktioniert, ist keine Frage von Religion oder Politik, sondern eher technischer Natur; also die Einhaltung aller Parameter, die Individuen in ihrer Summe gedeihen lassen.

Sind also Zeitgeist-Bewegte Nichtwähler oder, anders gefragt, seid ihr tatsächlich auch gegen Konzepte wie Politik oder Religion?

Im Endeffekt ist im Zeitgeist Movement, und das ist das Schöne, niemand gegen etwas, wir sind eine rein lösungsorientierte Bewegung. Es geht darum, den Ausspruch von Richard Buckminster Fuller hochzuhalten: „Man schafft keine Veränderung, indem man das bestehende System kritisiert; um etwas zu verändern, schaffe ein neues Modell, welches das alte hinfällig macht.“ Wir möchten Menschen vereinen, wir schaffen Synergien, wir legen Informationen und wissenschaftliche Tatsachen aus, die auf dem Gedankengang, auf den sich das Zeitgeist Movement stützt, basieren.

Es geht zugleich um gewaltfreie Kommunikation, die es eher ermöglicht, dass wir Menschen auf ein relativ gleiches Verständnis und ein Werte-Set kommen. Als Bildungsbewegung sprechen wir hier natürlich übergeordnet von relevanter Bildung, also Bildung über die Prozesse der Natur.

In der politischen Landschaft haben wir aktuell ältere Generationen, die offenbar nicht einmal die technologischen Entwicklungen des Internets mitbekommen haben; für die ist das halt nach zehn Jahren immer noch „Neuland“, so wie beispielsweise für unsere Bundeskanzlerin. Und trotzdem finden wir solche Leute als politische Führer vor, die, mit einem Gewaltmonopol ausgestattet, versuchen, ganze Gesellschaften zu regeln.

Es bleibt also die Frage: Warum sind die meisten Politiker denn eigentlich keine Soziologen, wenn sie doch Gesellschaften regeln wollen? Wo bleibt die wissenschaftliche Herangehensweise auf gesellschaftliche Belange? Warum finden wir fortlaufend korrupte Politiker vor und wählen diese scheinbar immer wieder, lediglich weil sie uns etwas versprechen, worin sie keine praktische Erfahrung aufbringen?

Wir sind nicht gegen diese Leute, aber wir wünschen uns, dass mehr Bildung über diese dysfunktionalen Ansätze etabliert wird und schlagen selbsterklärende Lösungen vor, und hierbei ist jeder willkommen.

Also Veränderung durch Vorleben?

Genau.

Ist das Zeitgeist Movement auch eine antimonetäre Bewegung?

Eher wollen wir dem Geldsystem entwachsen. Es lief lange Zeit gut, doch nun dient es uns nicht mehr. Der Großteil sozialer und ökologischer Projekte macht sich vom Zugang zu Geld abhängig, welches über kurz oder lang immer korrumpiert. Zugleich leben wir in einem Paradigma, in welchem kaum ein Problem gelöst wird, solange sich damit kein Profit generieren lässt.

Und dies ist eine Wertesystemstörung. Von daher kann man schon sagen, dass der Ansatz des Zeitgeist Movement eher revolutionär ist, da wir versuchen, ein intelligentes Management von physischen und geistigen Ressourcen zu etablieren, was keine Frage des Geldes mehr ist. Das hat etwas mit dem Interesse am eigenen Überleben, an der Gesellschaft und auch an der Umwelt zu tun, mit dem Verständnis, dass wir uns von dieser nicht entkoppeln können.

Wir sollten vielmehr umweltliche Bedingungen schaffen, die das eigene Überleben und bestenfalls eben das Gedeihen als Gesellschaft ermöglichen. Dass wir also in diesem geldbasierten Paradigma leben, ist der Grund dafür, dass wir sehr wenig Veränderung da draußen sehen, da Geld nun mal überall knapp zu sein scheint. Wie viele Münzschlitzdosen haben wir in den 80ern schon aufgestellt, um die „Kinder in Afrika“ zu „retten“, um generelle Miseren oder Umweltprobleme zu lösen?

Es ist wirtschaftlich-systemisch bedingt, dass wir diese haben. Solange diese Dinge in der wirtschaftlichen Gleichung als Externalitäten angesehen werden, solange Unternehmen im Zuge ihres profitären Selbstinteresses die Umwelt nicht respektieren und wir dann erwarten, dass wir durch Münzschlitzdosen die Probleme dieser Welt lösen, ohne das „große Ganze“ anzuschauen, dann gibt es ein klares Statement, dass das nicht der richtige Weg sein kann. Anstelle des Konzepts der sogenannten „Kosteneffizienz“ sollten wir unseren Fokus vielmehr auf die technische Effizienz richten.

Apropos Geldknappheit: Wie finanziert sich die TZM?

Lediglich durch eigenmotivierte Menschen, die sich und ihre Ressourcen selbstorganisiert und zum Wohle der Gemeinschaft einbringen. Hier steht eine bestimmte Leidenschaft dahinter, Menschen, die sich wirklich für ihr eigenes Überleben und die friedliche Koexistenz mit Anderen interessieren; die gelernt haben, dass sie – wenn sie kooperativ miteinander umgehen, weiter und besser vorankommen. Die auch gelernt haben, dass die Kultur, in der wir leben und aufwuchsen, kranke Werte fördert und uns somit aktuell im Wege steht. Es fühlt sich besser an, diese Strukturen hinter sich zu lassen und völlig ehrenamtlich für eine bessere Welt einzustehen. Was bleibt uns auch anderes übrig? Wir haben ja nur diesen einen Planeten.

Trotzdem entstehen, das weiß ich aus eigener Erfahrung, auch bei solch einem Projekt wie dem Zeitgeist-Day Unkosten. Führt ihr beispielsweise Spendenaufrufe durch, gibt es Sponsoren…?

Es gibt keine Sponsoren. Solange jedoch drei Attribute eingehalten werden, nämlich, dass ein Spendenziel angegeben wird, dass das Projekt zeitlich limitiert ist und dass die Kostenstruktur transparent ist, gibt es Ausnahmen, sodass es im Ausnahmefall auch im Movement gestattet ist, für ein Projekt Geld anzufassen. Veranstaltungen wie der Z-Day finanzieren sich dann durch Ticketverkäufe und gehen nicht selten auch mit privaten finanziellen „Verlusten“ daher. Das vorrangige Ziel bleibt jedoch die Nichtabhängigkeit zu diesem Medium.

Man kann also sagen, dass das Ganze sehr vorsichtig gehandhabt wird?

Extrem vorsichtig und sensibel, gemäß der Tatsache und Erkenntnis, dass bereits so viele Menschen mit gutem Herz und guter Intention sich immer wieder von Geld abhängig gemacht haben und ihre Ansätze daran leider immer wieder scheiterten.

Ist ein Systemumbruch abzusehen und wenn ja, wodurch wird er nach Überzeugung des TZM ausgelöst werden?

Ein Systemumbruch ist abzusehen, denn das Phänomen, dass die Menschen das Vertrauen in ihre gewählten Anführer verlieren, auf die Straße gehen, um ihren Unmut im großen Stil zu äußern und Veränderung zu fordern, besteht weiterhin fort und nimmt weltweit sogar zu. Irgendwann kommt ein Establishment nicht mehr hinterher, solche Bewegungen in allen ihren Facetten zu unterdrücken und deren Sympathisanten mittels seines Gewaltapparates niederzuknüppeln.

Die Occupy-Bewegung im Jahre 2011 war ebenfalls einer dieser Ansätze und wenn man sich die End-Szene des Filmes „Zeitgeist: Moving Forward“ von 2011 anschaut, in der die Menschenmassen weltweit vor den Banken stehen und ihnen ihr Geld zurückgeben, dann weiß man, wie bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen laufen könnten und dass „Occupy“ nur eine logische Konsequenz hieraus darstellt.

Solange wir jedoch Elitismus als Symptom dieser Wirtschaft ignorieren und einfache Feindbilder wie „99 gegen 1 Prozent“ zur Motivation hochhalten, während die meisten Leute zwar wissen, wogegen, aber nicht wofür sie eigentlich sind, bleiben sowohl der Bildungsansatz als auch die lösungsorientierte Richtung des Zeitgeist Movements relevant.

Ein Systemumbruch geht nur vonstatten, sobald eine kritische Masse an Menschen die Grundursachen unserer sozialen Probleme adressiert und nach tiefgreifender Veränderung strebt.

Wie lange kann die Menschheit noch im jetzigen System überleben, wenn sie nichts an dessen Gestaltung ändert?

Es wird schwierig, und Zahlenangaben wären Spekulation. Selbst wenn wir weiterhin die Meere vergiften, die Biodiversität zerstören und in zehn Jahren in einer Art „Mad-Max-Society“ leben, in der wir um Wasser kämpfen, wird sich das geldbasierte Marktwirtschaftssystem auf Kosten von Mensch und Umwelt aufrechterhalten, weil es lebensblind ist, von Knappheit und Ineffizienz lebt und diese selbst produziert.

Je mehr wir die Luft vergiften, desto eher haben wir demnächst eine Branche, die sich dem Verkauf von Sauerstoffflaschen widmet. Je sterbender und kranker die Gesellschaft, desto besser für die Pharmaindustrie, und wenn diese wächst, erhöht sich das Bruttoinlandsprodukt, also dieser gesellschaftlich etablierte Indikator für Wohlstand. Da geht der ganze Wahnsinn los. Das heißt, das System an sich sowie seine psychologischen Treiber müssen verschwinden.

Die Menschen sollten beginnen, selbst nach Veränderung zu suchen und diese nicht mehr von außen, von anderen Leuten erwarten, sondern intrinsisch motiviert neugierige Fragen stellen und dabei erkennen, dass in ihnen selbst das Potential liegt, sich und ihr Leben zu wandeln.

Etwa seit den 70ern gibt es den Earth-Overshoot-Day (Erderschöpfungstag) und wir wissen seitdem eigentlich, dass wir pro Jahr mehr Ressourcen konsumieren, als uns der Planet zur Verfügung stellt. Das wissen wir schon seit den 1970ern, stell Dir das mal vor! Im Jahr 2030 werden wir dann zwei Planeten brauchen, um das weiterzuführen, was wir heute „Wirtschaft“ nennen!

Das heißt, hier läuft gerade eine Exponentialkurve. Die Fahrt war anfangs spaßig, doch das Karussell dreht sich gerade immer schneller. Unsere Generation kann die Effekte hieraus bezeugen, und wir können uns den Luxus der 70er, 80er nicht mehr erlauben, als wir Kritikern erwiderten: „Ach, sei kein Schwarzmaler, denk da nicht drüber nach; das wird noch in 100 Jahren so sein.“

Die destruktiven Entwicklungen gehen gerade immer schneller vonstatten und wie bei einem immer schneller werdenden Karussell wird den Leuten langsam übel, der Absprung wird immer schwieriger. Die Angst vor dem harten Aufprall kann mitunter depressiv machen, vielleicht aber auch motivieren, dass wir uns schneller verändern und Auswege finden sollten.

Hast du dementsprechend Hoffnung, dass eine Veränderung bald eintreten könnte?

Ich schwanke immer zwischen dem Positiven und Negativen, um realistisch zu bleiben. Im Endeffekt tue ich das, was ich seit mehr als neun Jahren ehrenamtlich für‘s Movement mache, den ganzen Stress, das Selbstorganisieren, die Koordination innerhalb unserer bestehenden Kultur, die notwendigen Projekte und alles, was dazugehört, das ganze Nervenaufreibende, was ich mir eigentlich auch sparen könnte – kurzum, ich tu’s für meine Tochter.

Ich möchte einfach, dass sie in einer besseren Welt aufwächst. Es steckt also auch eine gewisse Form von Eigennutz dahinter, sodass ich später, wenn wirklich alles krachen sollte – man kann das ja alles nicht direkt beeinflussen, sondern lediglich sein Bestes geben – wenn also mal alles krachen sollte und sie mich fragt, wo ich denn stand, als der Wahnsinn mehr als offensichtlich wurde, dann kann ich später zumindest mal sagen:

„Ich hab nicht chipsfressend auf der Couch gesessen und zugeschaut – ich hab wenigstens versucht, was zu ändern.“

Lieber Franky, vielen Dank für das Gespräch.

Danke dir, Aaron, obercool.


Zum Interviewpartner:

Franky Müller, Jahrgang 1976, ist gelernter Industriekaufmann und Projektmanager. Seit 2009 ist er Teil des internationalen Koordinatoren-Teams der globalen Bildungs- und Bewusstseins-Initiative "The Zeitgeist Movement", die sich für einen Übergang heraus aus unserem unnachhaltigen Wirtschaftssystem hin zu einer naturgesetz- und ressourcenbasierten Wirtschaft sowie einen Wertewandel einsetzt, um dies zu erreichen. Weitere Informationen unter: http://www.zeitgeistmovement.de


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